Es ist die Zeit des Rückzugs.
Von Natur aus.
Winterstürme. Winterstille.
Rückzug ist uns fremd geworden.
Doch nun ist er da, gezwungenermaßen, und so manch Einer zappelt umso mehr.
In dem „gezwungenermaßen“ ziehe ich mich sehr gerne freiwillig zurück.
Müde macht es mich, dieses Gerede, der Schlagabtausch, die Annahmen, das Urteilen und Verurteilen, Meinung haben, Meinung machen, Recht haben. Besserwissen. Längst schon passiert es auch im Freundeskreis, dass einem die Wortraketen um die Ohren fliegen. Mal von der einen, mal von der anderen Seite. Ein Tretminenspiel noch dazu, wähnen sich die Einen doch in der Sicherheit, ich gehöre zu ihrer Fraktion, genauso wie die Anderen mich auf ihrer Seite wähnen. Sie fragen nicht. Wenn ich mich äußere, Irritation oder auch nicht. Wir müssen nicht einer Meinung sein, um eins zu sein. Wir sind uns manchmal ähnlicher als wir glauben, vor allem diejenigen, die sehr weit auf der ein oder anderen Seite stehen.
Vor einigen Monaten starb mein geliebter Mann. Ich habe sein Sterben miterlebt – und damit das Leben und was wirklich wesentlich ist. Es ist das Herz. Am Ende des Lebens gibt es kein Richtig oder Falsch mehr, im Herzensraum existiert dieses Konzept nicht, denn das Herz spricht eine andere Sprache.
Die Sprache des Herzens öffnet, die Sprache des Urteils verschließt und trennt. Ich habe kein Interesse daran, den Polarisierungskrieg mitzumachen.
Die Menschen sagen so viel und fragen so wenig.
Sie fragen sich selbst und auch ihre Nächsten so wenig – wenn da überhaupt noch welche sind. Nächste? Lange nichts, bevor der oder die „Nächste“, was ja bedeutet „Naheste“ kommt.
Wie wäre es mal mit: „Wie fühlst du dich im Inneren, was hast du erlebt, welche Erfahrungen hast du gemacht; hast du Angst und wenn ja, wovor? Was bedeutet für dich Sicherheit, was Freiheit? Was ist dein Bedürfnis? Was verbindet uns?“
Sie fragen nicht, weil sie übervoll sind mit Antworten, ja nicht einmal interessiert sind am Gegenüber und sowieso nichts mehr reinpasst. Im Gegenteil, sie quellen andauernd über und vermutlich deswegen kommt ein Schwall nach dem anderen auch heraus. Der Zulaufhahn ist ständig offen, on-line sind wir dauernd und es läuft rein und über und rein und über. Ein ständiges sich übergeben. Das muss sich sehr krank anfühlen.
Ich sehe kleine Körper mit übergroßen Köpfen darauf. Kein Wunder, dass es schwer fällt, Balance zu halten.
Sie – du – ich – wir…
Wir wissen nichts. Doch scheinbar wissen wir das nicht.
Ob wir nun auf der einen Seite des Federkiels wachsen oder auf der anderen, ob unsere Muster sich unterscheiden und unsere Farben, so haben wir doch dieselben Wurzeln. Ob uns das passt oder nicht.
Ich ziehe mich, so gut ich kann, zurück ins Innerste vom Inneren. Fernab vom Lärm der Welt.
Dort ist das Wesentliche zu finden.
Stille.
In der Stille vergessen wir die Antworten. Wir vergessen, was überhaupt die Frage war.
Und schon entsteht Raum.
Selbst in dieser Enge, die vielleicht viele von uns derzeit erleben, können wir Raum entstehen lassen.
Wenn du mir begegnen möchtest, dann folge diesem Pfad:
Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort werden wir uns begegnen.“
~ Jalaluddin Rumi
Woanders bin ich nicht mehr zu finden.
Von Herzen
Nora
Du liebe Nora,
Wunderbare Worte mit soviel Herz und Lebensverbundenheit – danke dir sehr dafür!
Ich ertappemich auch immer wieder beim „nachprüfen, argumentieren“ … leider bleibt es mir an der ein oder anderen Stelle nicht erspart. Oder doch…? Neulich sagte ich zu einer Patientin:“Ich hab garkeine Lust mehr auf Diskussionen oder Rechtfertigungen. Jede/r darf für SICH Entscheidungen treffen. Das nehme ich auch für mich in Anspruch.“
Punkt!
Ja, und was kommt dann?
Genau diese Fragen, die du geschrieben hast. Dann öffnet sich der Blick, das Empfinden wieder für die wirklich wichtigen Dinge…
D.h. jetzt Mittagessen! 🥰💕
Danke, liebe Barbara für deinen Kommentar.
Ja, genug diskutiert, lass uns verbinden beim gemeinsamen Essen – auch wenn wir nicht am gleichen Ort sind. Ich wünsch dir guten Appetit für das nächste Essen 😉
Herzensgruß
Nora
Liebe Nora, liebe Barbara,
eure Gedanken schwingen zusammen mit meinen momentanen Gefühlen…ich spüre Resonanz…neue Fragen werden täglich geboren… und da denke ich gerade wieder einmal an meinen geliebten Rilke-Text:
„Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist Austragen – und dann Gebären.
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit.
Man muss Geduld haben, gegen das Ungelöste im Herzen und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein. Rainer Maria Rilke
Heute hat mich ein Mensch gebeten meine Maske für einen Moment abzulegen. Ein Mensch der mich zuvor nicht kannte. Es hat mich zutiefst berührt. Ein Mensch der sich wünschte mein Lächeln, mein gesamter Gesichtsausdruck einfach wahr zu nehmen. Ein kostbarer, seltener Moment mitten im Getriebe des Alltags…zwei fremde Menschen halten inne, ein Mensch sieht mich an, nimmt mich wahr…Lebendigkeit, eine Selbstverständlichkeit, welche mir schon fast fremd erscheint, eine stille Verbindung, eine gefühlte Ewigkeit…ohne Worte…Tränen steigen aus meiner tiefen Quelle empor,…ich will sie zunächst zurückhalten. Doch der Fluss des Lebens, die Freude…oder ist es Trauer…ist es nicht Beides?.. ist stärker…das Leben will fließen…und es ist, als ob sich heute ein ganz besonderes Adventstürchen geöffnet hat…
Fühlt euch umarmt im lichtvollen Advent, Augenblick für Augenblick…
Schön, dass es Euch gibt! Danke ihr wundervolle Frauen! Danke fürs Teilen auf diesem Wege… Herzensgruß Loni